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Xavier Koller, Schweizer Filmregisseur, Drehbuchautor und Oscarpreisträger

Xavier Koller: «Am Anfang war mir die Oscar-Ehre fast peinlich. Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass man mich kennt.»

Sein Oscar wartet sorgsam verpackt in einem Lager, denn Xavier Koller kehrt von Los Angeles zurück nach Europa. Für sein Einwandererdrama «Reise der Hoffnung» nahm der Regisseur vor genau 30 Jahren die höchste Auszeichnung der Branche entgegen – und folgte dem Ruf aus Hollywood. Seine Wohnung im Seefeld ist für den 77-Jährigen immer Basis in der Heimat geblieben. Wir haben ihn auf einer Stippvisite getroffen.

Text: Sherin Kneifl

Sie sind jahrelang zwischen Hollywood und dem Seefeld gependelt. Was haben Sie jeweils vermisst?

Xavier Koller: Ich kenne kein Heimweh, sondern geniesse die Eigenheiten der Umgebung, wo ich gerade bin. Ganz früher haben wir Spezialitäten mit in die USA genommen, wie Bürli, die meist trocken waren, bis wir ankamen. Fleisch darf man nicht einführen. Darum haben wir Toblerone-Packungen mit Salami gefüllt und ins Land geschmuggelt. Heute ist Los Angeles kulinarisch auf der Höhe von Zürich, auch preislich. Ich bin 1976 ins Seefeld gezogen und war froh, dass meine Schwester die Wohnung übernommen hat, sodass ich immer eine emotionale Bleibe habe, wenn ich in Zürich bin. Das Seefeld ist eine angenehme, leicht erreichbare Gegend mit viel Auslauf, dem See und kleinen Geschäften. Das Quartier wie die ganze Stadt ist kosmopolitischer und «farbiger» geworden.

Welche Eigenschaften an Ihnen würden Sie als typisch schweizerisch und welche als amerikanisch bezeichnen?

Ich bin der geblieben, der ich war und nahm unsere Kultur in die Ferne mit. Ich bin nie Amerikaner geworden, denn meine Identität ist dort verwurzelt, wo ich herkomme. Lediglich meine Sprache hat sich schnell verändert: Ich lasse Anglizismen ins Deutsche einfliessen. Heute ist so ein Gemisch ja normal, sodass ich damit nicht mehr auffalle.

Woran arbeiten Sie gerade?

Ich schreibe viel. Leider sind meine Projekte meist zu gross für die Schweiz. Es braucht Zeit, um die richtigen Kanäle zu finden, etwas auf die Beine zu stellen. An solch einer grösseren Sache bin ich dran.

Wann sagen Sie: «Daraus lohnt es sich, einen Film zu machen»?

Eine Geschichte muss mich berühren. In der Regel habe ich einen Bezug dazu. Sie darf aber nicht nur für mich interessant sein, sondern sollte für viele Leute Gültigkeit haben. Vor allem interessieren mich Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Vielleicht hat das darin seinen Ursprung, dass ich mich selbst auch als Aussenseiter empfinde.

Das Thema Ihres Oscar-prämierten Films «Reise der Hoffnung» ist heute so aktuell wie 1990. Es geht um illegale Einwanderer.

Heute hat sich die Flüchtlingsthematik weiter radikalisiert. Damals war die Situation schon dramatisch, aber noch kein Milliardengeschäft. Ruchlose, brutale Schlepper bereichern sich an verzweifelten, armen Menschen. Doch eine politische Lösung ist nicht in Sicht.

Wo steht Ihr Oscar?

Der ist eingelagert. Wir ziehen gerade in das Familienhaus meiner Frau in Camogli. Sobald der Umbau in Italien fertig ist, kommt er angereist. Er hat sein eigenes Kabäuschen, weil ich ihn in der Regel nicht sichtbar aufstelle.

Xavier Koller, Reise der Hoffnung

Was hat die Auszeichnung für Ihre Karriere bewirkt?

Sie hat einige Türen geöffnet, mich aufs internationale Radar gebracht und mich persönlich nach Hollywood. Vieles im Filmbusiness flackert nur kurz auf. Der Award bleibt bestehen. Es hat gedauert, bis ich das akzeptiert habe. Am Anfang war mir der Preis fast peinlich. Auch dass man mich plötzlich kannte.

Wie beurteilen Sie den Schweizer Film?

Es krankt in der Regel an guten Geschichten, die Charakter haben und einen mitreissen, etwas fühlen lassen, den Zuschauer engagieren. In den letzen Jahren habe ich nur wenige Talente gesehen. Ursula Meier zum Beispiel, oder Stéphanie Chuat und Véronique Reymond, welche diesen wunderbaren Film «Schwesterlein» gemacht haben!

Was möchten Sie noch erreichen?

In erster Linie ein langes Leben. Und ein paar Filme will ich noch machen. Ich gelte in der Branche schon als Methusalem für die Jungen. Talent ist aber altersunabhängig und man kann es nicht lernen.

Geben Sie Ihr Wissen weiter?

Ja, wenn man mich fragt. Ich habe an der Universität in Long Beach und an Filmschulen Regie und Drehbuch unterrichtet.

In Ihrem Portfolio finden sich auch Werbefilme. Mussten Sie sich dafür überwinden?

Nein, das macht Spass. Ausserdem bringt es kurzfristig eine Stange Geld. Die wenigen Sekunden, die ein Werbespot dauert, sind natürlich zu kurz, um eine gute Geschichte zu erzählen. Spielfilme brauchen einen langen Atem. Darin liegt meine Leidenschaft.

Worauf sind Sie am meisten Stolz?

Auf meine Tochter. Sie ist die einzige Amerikanerin in der Familie, weil sie in den USA geboren wurde. Dass sie jetzt Rechtswissenschaften an der Yale University studiert, hat sie aus eigenem Antrieb geschafft.

Was inspiriert Sie?

Musik, die ich in allem wahrnehme. Bewegung, Wetter, Begegnungen – alles hat einen Rhythmus. Unser Haus in Camogli liegt am Meer und ich beobachte jeden Abend fasziniert diese Show aus Licht und Ton, die mir die Natur bietet.

Haben Sie einen Film, den Sie immer wieder anschauen?

Meine Filme schaue ich nicht mehr. Ich bin ein Fan von Charlie Chaplin und Buster Keaton. Fellinis «Amacord», «Apocalypse Now» von Francis Ford Coppola oder Bergman-Filme unterhalten mich stets aufs Neue.

Oktober 2021


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