
Zürich unter Druck: Was Graffiti über die Stadt und ihre Politik verraten!
Zwischen Protest, Identität und Stadtbild – Zürichs neue Graffitikultur
Wer in diesen Tagen mit dem Velo durch den Kreis 8 fährt, bemerkt es sofort: Das Stadtbild verändert sich. Immer mehr Hausfassaden, Mauern und Unterführungen im Seefeld sind mit neuen Graffiti versehen – mal das Emblem des FC Zürich, mal politische Botschaften der Revolutionären Jugend Zürich (RJZ). Was für die einen wie Sachbeschädigung aussieht, ist für andere ein Ausdruck von Protest, Identität oder Frustration. Der öffentliche Raum wird zum Spiegel gesellschaftlicher Spannungen – und zum Ort, an dem sich Stimmen sichtbar machen, die sich oft überhört fühlen.
Text: Zoran Bozanic
Wer steckt dahinter?
Die Revolutionäre Jugend Zürich (RJZ) ist seit 2015 aktiv. Die Gruppe setzt sich feministisch, antikapitalistisch und internationalistisch für eine andere Stadtpolitik ein. Frauen innerhalb der Organisation arbeiten separat an Themen rund um den sogenannten Frauenkampf. Neben Demonstrationen organisiert die RJZ auch Veranstaltungen, politische Konferenzen, Partys für alle – zu Preisen, die sich alle leisten können – und Aktionen im Quartier wie Gratis-Grills oder das Umverteilen von Gütern unter dem Slogan «Serve the People – Dä Masse dienä».
Auch die FCZ-Fan-Szene hinterlässt sichtbare Spuren im Stadtbild
Die Leidenschaft für den Stadtclub geht über das Stadion hinaus – bis an die Mauern ganzer Quartiere. Ausdruck von Stolz für die einen, Provokation für die anderen.
Zwischen Protest und Privatraum
Ob politisch oder sportlich motiviert – die zunehmende Präsenz von Graffiti wirft Fragen auf: Wem gehört der öffentliche Raum? Wo endet legitimer Ausdruck, wo beginnt Übergriff? Die Stadt Zürich hat sich in den letzten Jahren rasant verändert. Luxussanierungen, steigende Mieten, sterile Neubauten – viele Menschen erkennen ihre Quartiere kaum wieder. Für manche ist das Sprayen ein Versuch, sichtbar zu bleiben in einer Stadt, die sie zunehmend ausschliesst.
Stadtentwicklung als Einbahnstrasse?
Die RJZ kritisiert die Aufwertung und Verdrängung explizit – mit klaren politischen Botschaften, aber auch mit dem Aufbau einer eigenen Gegenkultur. Statt nur zu reagieren, wollen sie die Stadt aktiv gestalten. Dabei geht es nicht nur um Parolen an Wänden, sondern um eine Debatte über Teilhabe: Wer darf mitreden, mitplanen, mitgestalten? Und wo fehlen Räume – räumlich wie politisch – für diesen Dialog?
Politik in der Pflicht – mehr als nur Verkehrswende
Zürich will Velostadt werden – mit Tempo, Investitionen und viel Symbolik. Der politische Wille zur Transformation ist klar erkennbar. Doch die Frage bleibt: Warum gelingt bei der Wohnpolitik nicht, was beim Verkehr vorangetrieben wird?
Amsterdam und Kopenhagen sind nicht über Nacht entstanden. Ihr Wandel zur Fahrradstadt war das Ergebnis einer jahrzehntelangen gesellschaftlichen Entwicklung. Zürich hingegen versucht, mit baulichen Eingriffen und Regulierungen in kürzester Zeit nachzuziehen.
Was dabei zu kurz kommt: die soziale Balance. Wer Zürich zur Velostadt umbaut, sollte auch dafür sorgen, dass Menschen mit mittleren und tiefen Einkommen hier weiterhin leben können. Eine zukunftsfähige Stadt braucht nicht nur Velowege, sondern auch bezahlbaren Wohnraum.
Schluss ohne Schuldzuweisung
Der zunehmende Einsatz von Graffiti ist kein reines Ordnungsproblem – sondern ein Ausdruck gesellschaftlicher Spannungen. Was manche als Schmiererei abtun, ist für andere eine Reaktion auf das Gefühl, ausgeschlossen oder unsichtbar zu sein. Anstatt mit Schuldzuweisungen zu reagieren, braucht es politische Antworten – und eine Stadtentwicklung, die nicht nur oberflächlich gestaltet, sondern auch gesellschaftlich gerecht ist.
Denn eine Stadt ist mehr als ihr Verkehrsnetz – sie ist das Zuhause von Menschen. Und wer Zürich zukunftsfähig machen will, darf dabei nicht vergessen, für wen diese Zukunft gedacht ist.
Juli 2025